„Kurzzeitschwester“ ist mein Herzensprojekt. Der Film wirft einen intimen Blick in mein Leben und erzählt außerdem die Geschichte meiner verschwundenen Schwester. Unsere Wege wurden vor 17 Jahren getrennt; seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Vanessa wurde zum Tabu. Das Schweigen meiner Familie legte sich wie ein Mantel über meine Erinnerungen, die nach und nach verblassten – bis zum vergangenen Jahr.
Da schaffte es ein Bekannter, seinen alten Kindergartenfreund aufzuspüren und wiederzutreffen. Dessen Geschichte war wie eine Initialzündung für meine Erinnerungen: Plötzlich kamen all die gemeinsamen Erlebnisse mit Vanessa wieder hoch und ich verstand, was mir all die Jahre gefehlt hatte: meine Schwester. Daraufhin wuchs in mir als junger Erwachsener der Wunsch, endlich die Wahrheit über Vanessas Verschwinden zu erfahren und sie nach über 17 Jahren wiederzusehen.
Ich wusste, dass es schwer werden würde, meine Familie zum Reden zu bringen. Eine gemeinsame Aussprache schien unrealistisch – zu festgefahren waren die Fronten. Deshalb wurde die Kamera zum Sprachrohr innerhalb meiner Familie.
Statt miteinander zu reden, sprechen meine Verwandten durch den Film zueinander. Endlich wurde das Schweigen gebrochen, über Vanessa wurde wieder gesprochen. Die Dokumentation dient auch als Auslöser für meine Eltern, sich mir anzuschließen und endlich nach der verschollenen Tochter zu suchen.
Die Geschichte lässt dabei keine Details aus: Es geht um Kindheitsprägung, Geschwisterliebe und Verbundenheit, Schuld und Trauma, Vorwurf und Hass. Themen, die so in jeder Familie auf unterschiedliche Art und Weise vorkommen. Statt wie häufig üblich, wird das Thema Pflegekind nicht geschönt, sondern nah an tatsächlich Erlebten ehrlich und offen, auch mit Missständen und Schwierigkeiten, reflektiert. Damit möchte ich zur Diskussion anregen – über Jugendämter, das Konzept Pflegekind, aber auch über Familienzusammenhalt und Kindererziehung.
Ich möchte mit “Kurzzeitschwester” Menschen inspirieren, sich Vergangenem zu stellen und den eigenen Problemen ins Gesicht zu schauen. Denn genau das habe ich in dem Film gemacht. Der Prozess kann wehtun. Das hat er bei meiner Familie, bei Vanessa und bei mir auf jeden Fall – am Ende lohnt es sich aber, wenn es nach Jahren des verdrängten Schmerzes endlich Klarheit gibt.
2021
3x 25min
Regisseur & Autor
DRIVE beta GmbH für die ARD Mediathek, gefördert von Saarland Medien
fertiggestellt
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Nominierung "Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus" 2022, Gewinner "Postgraduate Best Editing" & "Best Writing" bei den "RTS Student Television Awards" 2021